Im dritten und letzten Teil unserer Betrachtung von Uhren aus China sehen wir uns in dieser Runde noch 3 weitere ganz unterschiedliche Uhren an, die im Gegensatz zu den zuvor betrachteten Modellen, keine sog. Hommage-Uhren sind, sondern mit eigenständigem Design und interessanten technischen Merkmalen punkten.
Mysterious Code (Einzeigeruhr)
Die Chinesen können durchaus eigenständige Designs. Ein Vertreter diese Gattung ist die Einzeigeruhr vom Label „Mysterious Code“. Die Uhr haben wir mit elegant kaffeebraunem Zifferblatt, weißem Zeiger und dazu passenden Lederarmband bestellt.
Auch hier gibt – ein sogar doppelt entspiegeltes – Saphirglas den Blick auf das gut ablesbare, hochwertig mit Sonnenschliff ausgeführte Zifferblatt frei. Als optische Besonderheit kann die über 180 Grad geöffnete Datumsscheibe erwähnt werden.
Das an den Flanken teils polierte, teils grob sandgestrahlte Gehäuse mit durch 6 Gewindeschrauben fixiertem Glasboden ist makellos verarbeitet und verleiht der Uhr ein hohes Maß an Eigenständigkeit.
Im Inneren tickt das ST2130 von Tianjing Seagull, ein bekannter und bewährter ETA2824 Klon mit sehr respektablen Gangwerten. Geringer Lagefehler, kein Abfallfehler, stabile Amplitude über alle Lagen und auch nur vergleichsweise geringe Änderungen bei abnehmender Spannung der Aufzugsfeder. Leider war das Werk auf einen Vorgang von 20 sec/Tag einreguliert.
Mittels der auch in diesem Werk verbauten Etachron-Feinregulierung war die Nachjustage auf nunmehr 5 sec/Tag eine Aktion von wenigen Minuten. Beim Öffnen des Gehäuses fiel dann sogleich die hervorragende Verarbeitung im Inneren auf. Kein einfacher Werkhaltering aus Kunststoff, wie bei den meisten anderen vorgestellten Modellen, nein, solides und sauber verarbeitetes Metall.
Von den bislang besprochenen Modellen sicherlich eines der Highlights. Und der Preis? Man mag es erneut kaum glauben. Mit 85 EUR sind Sie dabei. Schaut man sich bei den sonstigen Anbietern von Einzeigeruhren um – so viele gibt es davon ja nicht – so muss man dort das 10 – 20-fache des genannten Preises auf den Ladentisch legen. Und bei dieser Uhr hat man wegen des verbauten 2824 Klons noch den Vorteil, dass nahezu jeder Uhrmacher das Werk einregulieren oder im Falle eine Falles auch mal einen Service vornehmen kann, sofern er denn Willens ist.
Sugess (Handaufzugschronograph)
Wenden wir uns einem weiteren Sahnestück zu, welches wir via Amazon geordert haben. Es handelt sich um einen Handaufzugschronographen des Anbieters „Sugess“. Das Modell mit der Bezeichnung SU1908SZ kommt mit den Zusatzkomplikationen Mondphase und Zeigerdatum. Wir haben das Modell mit schwarzem Zifferblatt und gewaffeltem Guillochemuster bestellt.
Als Uhrwerk verwendet Sugess das bewährte Handaufzugskaliber ST1908 von Tianjing Seagull. Dieses durch den Glasboden wunderschön anzusehende und mit präzisem Schaltrad versehene Uhrwerk stammt noch aus der alten Schule der Uhrmacherei.
Kein Wunder, basiert es doch auf dem Schweizer Venus 175, das von 1942 bis in die 1960er Jahre hinein produziert wurde. Später – nach Auslauf der Produktion – wurden die Fertigungseinrichtungen und alle Rechte während der Quarzkrise an die Tianjin Watch Factory (Seagull) für ein paar Schweizer Fränkli veräußert.
Mittlerweile wurde das Uhrwerk in China weiterentwickelt und auch fertigungstechnisch auf den aktuellen Stand der Technik gebracht. „Sugess“ versieht den Gangregler zudem mit einer präzisen Schwanenhalsfeinregulierung; so macht das Uhrwerk nicht nur optisch etwas her, es funktioniert auch erstklassig und die Gangwerte sind ohne Fehl und Tadel. Eine Nachregulierung war deshalb nicht angesagt.
Die Mondphase und das Zeigerdatum lassen sich mittels ins Gehäuse eingelassener Drücker problemlos einstellen. Das Gehäuse in klassischer Formgebung mit Saphirglas und 6-fach verschraubten Sichtboden ist hochglanzpoliert und makellos verarbeitet. Für die Summe von 220 EUR bei Amazon erhält man ein meisterhaftes Stück vergangener Schweizer Uhrmacherkunst, zwar „Made in China“, aber dafür zu einem Bruchteil des Preises einer vergleichbaren “Swiss Made” Uhr.
Mysterious Code (Sixtees Hommage)
Last but not Least haben wir vom Uhrenlabel „Mysterious Code“ noch ein weiteres Test-Exemplar mit der Referenz 9619486 bestellt und geliefert bekommen. Die Uhr ist laut Beschreibung mit dem 2824-Klon PT5000 von HK Precision Technology bestückt. Optisch bemerkenswert sind das im modernen Vintage-Look der 60er Jahre gehaltene Zifferblatt mit aufgesetzten silbernen Indizes hinter einem einfach entspiegelten Saphirglas. Das Design der Uhr mit einem Durchmesser von 42mm ist eigenständig, wertig und durchweg gelungen.
Das Gehäuse ist hervorragend verarbeitet. Feine Bürstungen sowie auf Hochglanz polierte Flächen wechseln sich ab.
Der geschlossene Schraubboden trägt großflächig das Logo des Herstellers sowie die Referenznummer und weitere Informationen. Zusammen mit der präzise funktionierenden Schraubkrone wird lt. Hersteller eine Druckfestigkeit von 10 bar erreicht.
Nachdem die Gangwerte bei Anlieferung nicht ganz den Erwartungen entsprechen und messtechnisch einen mittleren Vorgang von 15 sec/Tag erkennen ließen, haben wir die Uhr kurzerhand geöffnet und nachreguliert. Dabei war das Erstaunen groß als nach Entfernen des massiven Gehäusebodens ein weiterer innenliegender Gehäusedeckel mit aufgelegtem Federring zum Vorschein kam, der das Uhrwerk zusätzlich abschirmt.
Der stabil ausgeführte Werkhaltering, zusammen mit darauf aufliegenden Zusatzdeckel, ergeben eine Abschirmung des Uhrwerkes gegen – vermutlich – magnetische Einflüsse von außen. Wie gut das funktioniert, lässt sich nicht beurteilen, da wir weder die Eigenschaften der verwendeten Materialien kennen, noch über entsprechende Messtechnik verfügen.
Nach der Einregulierung hat die Uhr nun einen mittleren Vorgang von 3 sec/Tag bei einer Amplitude von im Mittel 280 Grad und nur ganz geringen Lageabweichungen. Ein Selitta SW200 oder Original ETA 2824 können es nicht besser.
Betrachtet man abermals den Preis i.H. von 110 Euro, der bei Aliexpress inklusive Versand aufgerufen wurde, so werden die Fragezeichen immer größer. Eine vergleichbare Uhr eines europäischen Anbieters ist unter 800 Euro nicht zu bekommen. Selbst SEIKO oder Citizen können nicht ansatzweise mithalten. Am ehesten noch der Senkrechtstarter ORIENT. Würde auf der Uhr mit aufwendigem zweischaligen Gehäuse und verschraubter Krone ein klangvoller Name wie SINN, Mühle Glashütte oder gar Longines zu lesen sein, würden wir uns nahe der 2000 Euro Marke bewegen.
Zu welchem Ergebnis kommen wir und welche Schlüsse ziehen wir daraus?
Speziell das von einer früheren Version der Rolex Explorer inspirierte und abgeleitete Modell von „AddiesDive“ mit dem Kaliber PT5000, aber auch die begeisternde Einzeigeruhr von „Mysterious Code“, bestückt mit dem bewährten ST2130 von Seagull, oder vom gleichen Label die Uhr mit zusätzlichem Innengehäuse und Kaliber PT5000 bestückt, sowie nicht zuletzt der wunderschöne Handaufzugs-Chronograpgh von „Suggess“ zeigen, auf welchem Niveau sich der chinesische Uhrenbau mittlerweile bewegt. Sehr gute bis hervorragende Qualität, die absolut keinen Vergleich zu scheuen braucht, zu Preisen, die erstaunen und aufhorchen lassen. Ja, das gibt es mittlerweile aus China.
Mit welcher Berechtigung werden von deutschen oder Schweizer Herstellern für Stahlbänder, die häufig nur mit einer einfachen Blechschließe daherkommen, Aufpreise verlangt, die dem Gegenwert der soeben beschriebenen Uhren entsprechen, oder sportliche Mehrpreise für entspiegelte Saphirgläser aufgerufen, oder Gehäuse mit einfach verpressten Böden angeboten, oder, oder….. Die Aufzählung ließe sich fortführen.
Mit der langen Liste an Bauteilen, die deutsche, Schweizer, aber auch japanische Uhrenbauer bereits seit Jahrzehnten in China fertigen lassen, wie Gehäuse, Zifferblätter, Zeiger, Armbänder, und selbst Uhrwerkskomponenten, hat sich China – ähnlich wie das jetzt auf vielen anderen Gebieten der Fall ist – einschlägiges und solides Know-How aufgebaut und spielt nun auf Augenhöhe mit seinen Kunden.
Selbst die Standard Kaliber aus fernöstlicher Produktion werden immer besser. Ja, es mangelt mancherorts (noch) am Qualitätsmanagement und an der Fertigungskonstanz; keine Frage. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass mittlerweile zumindest bekannte Hersteller, wie Tianjing Seagull, die Precision Technologies in HongKong oder die Hangzhou Watch Company, verstanden haben, worauf es ankommt und an der steten Verbesserung ihrer Produkte arbeiten. Einige der von uns erworbenen Uhren zeigen das unübersehbar.
China beginnt bei Uhren sein Billig- und Schrottimage abzulegen und zunehmend höherwertige Produkte auf den Markt zu bringen.
Der vollständige Zusammenbau der Uhr vor Ort, aus all den Einzelteilen aus lokaler Produktion und die Vermarktung unter eigenen Labels war insofern nurmehr eine Frage der Zeit. Aber China ist aktuell bereits einen Schritt weiter und unterhält vornehmlich in Deutschland angesiedelte – ebenfalls in chinesischer Hand befindliche – Importeure, die die Ware in den europäischen Markt verbringen. Eine wichtige Vertriebsplattform ist dabei Amazon. Der Zugriff auf den Fachhandel dürfte ebenfalls nur noch eine Frage der Zeit sein.
Die andere Frage ist, wie lange der Kunde noch willens ist, in Anbetracht dieser gewaltigen Preisunterschiede, die Brieftasche für bekannte Produkte aus vermeintlich europäischer oder japanischer Fertigung weiterhin bereitwillig weit zu öffnen und jeden aufgerufenen Preis zu bezahlen.
Diese Erkenntnis spielt nicht nur hierzulande eine immer größere Rolle, in China selbst ist man mittlerweile stolz auf die Fähigkeit, Produkte in westlicher Qualität im eigenen Land herzustellen. Und so greifen immer mehr Chinesen zu einheimischen Produkten. Das ist bei Automobilen so, und ist bei Uhren nicht wesentlich anders.
Dass der Kunde bei seiner Kaufentscheidung bei Autos das VW-Logo irgendwann durch BYD oder MG ersetzt, und bei Uhren das Tissot oder Certina Logo durch Sugess, AddiesDive, o.ä. war eigentlich nur noch eine Frage der Zeit. Insofern bekommt – allen voran – die Swatch-Group diesen Trend durch kräftige Umsatzrückgänge in China zu spüren. Siehe dazu auch den aktuellen Bericht bei “Blickpunkt Juwelier”: https://blickpunktjuwelier.de/swatch-group-halbjahresbericht-143-im-vergleich-zum-vorjahr/
Dass der Markt in China derzeit insgesamt schwächelt, verschärft die Situation eigentlich nur noch. Der grundsätzliche Trend ist hingegen unübersehbar.
Das Thema Plagiate und Fake-Uhren, die leider immer noch – auch in großen Mengen – auf den Markt kommen, dient natürlich nicht dem gewünschten Imagegewinn, sondern bewirkt genau das Gegenteil, nämlich eine nach wie vor große Verunsicherung des Kunden. Uns erging es nicht anders. Man bestellt nach bestem Wissen und Gewissen, wusste vorher aber nie so ganz genau, was einen wirklich erwartet. An diesem Punkt ist noch viel zu tun und die schwarzen Schafe müssen endlich ins Abseits gestellt werden. Allerdings zeigt sich z.B. AliExpress äußerst kulant, wenn man einem Fake-Händler ins Netz geht und dies entsprechend reklamiert.
Alles in Allem baut sich langsam aber stetig eine Wettbewerbssituation auf, die dazu führen wird, dass das Marktgeschehen weiter an Dynamik zunehmen wird und die alteingesessenen und häufig (noch) erfolgsverwöhnten Hersteller gut daran tun, die neu heranwachsende und erstarkte Konkurrenz aus China genau zu beobachten, absolut ernst zu nehmen und die eigenen Entscheidungen diesen neuen Gegebenheiten anzupassen.
Der Autor:
Herr Dipl.-Ing. (FH) Patrick Weigert ist als General Manager einer Unternehmensberatungsgesellschaft überwiegend für die Automobilindustrie und deren Zulieferer tätig und als begeisterter Uhrensammler und -Kenner auch Mitbegründer und Gesellschafter beim Deutschen Uhrenportal.
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