Der Wind hat sich gedreht, die smarte Uhr am Handgelenk ist auch in Kreisen der besseren Uhren plötzlich nicht mehr verpöhnt, seit TAG Heuer und nun auch Montblanc das Thema für sich entdeckt haben.
Eine kritische Betrachtung von Dipl.-Ing. (FH) Patrick Weigert, Unternehmensberater und Analyst beim Deutschen Uhrenportal:
Gehen wir gedanklich 8 Jahre zurück. Das Start-Up “Pebble”, begann 2009 ursprünglich als Studentenprojekt, unter der Leitung des umtriebigen, damals gerade einmal 23 Jahre alten Youngsters Eric Migicovsky, an der University of Waterloo in Kanada, nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit, an der ersten Smartwatch zu tüfteln. 2011 wurde das Projekt “Pebble” schließlich vom Gründungszentrum Y Combinator in Mountain View in Kalifornien aufgenommen.
Dann, im April 2012 erschien plötzlich auf Kickstarter die erste Crowdfunding Kampagne von Pebble. Von vielen sogenannten und häufig selbsternannten Experten wurde Migicovsky belächelt. Als er dann im Januar 2013 mit der ersten Plastik-Smartwatch auf den Markt kam, war das Gelächter groß. Insbesondere die zahlreichen Uhren-Experten haben sich abfällig geäußert und diesem Teil eine Absage erteilt, sofern sie denn überhaupt realisiert haben, um was es hierbei ging.
Im Bild: Pebble Classic, erste Generation von 2013
Wir hatten uns bereits damals auf Umwegen direkt aus den USA ein erstes Exemplar beschafft. Und wie war unser Eindruck? Design und Material: Aus der Sicht eines Uhrenliebhabers, vernichtend. Aber Soft- und Hardware einfach genial! Das haben aber damals die allerwenigsten verstanden. Auch wir wurden mitleidig belächelt, als wir uns mit dem Teil erstmals auf die Straße und unter die Leute wagten.
Unter den Nerds hat Migikovsky dann aber sehr rasch eine Fangemeinde entwickeln können, die ihm die Stange gehalten und über die Social Medias die nötige Reichweite und erforderliche Anerkennung für seine Pionierarbeit verschafft hat. Jener Vollprofi, der das Thema bereits damals sehr ernst genommen hat, war Apple.
Dann 2014, erreichten die ersten Gerüchte um eine iWatch – so nannte man die Apple Watch damals noch – die Welt der feinen Uhren. Aber da schien ja noch alles bestens zu sein. Die Fachpresse jubelte, die Uhrenhersteller waren in Partylaune. Als Apple sich dann gar erdreistete, beim ein oder anderen Uhrenhersteller anzuklopfen, um für sein Projekt zu werben, wurde in gewohnt arroganter Manier dankend abgelehnt.
Dann vor zwei Jahren, erblickte die Apple Watch schließlich das Licht der Welt. Die Presse jubelte noch immer und die Partylaune bei den Herstellern war zunächst noch ungebrochen, aber nicht wegen der Apple Watch, sondern die Chinesen zahlten noch immer fast jeden Preis.
Im Bild: Apple Watch 2, neueste Generation
Als dann aber, wie aus heiterem Himmel, die Freigabe des Wechselkurses vom Schweizer Franken durch die Schweizer Nationalbank kam und zu allem Überfluss auch noch die Antikorruptionsgesetze in China erste Auswirkungen zeigten, waren für Presse und Hersteller die Schuldigen schnell ausgemacht. Die Schuldigen dafür, dass sich das Karussel offensichtlich doch nicht mehr ganz so flott drehte.
Die Frage, ob das eventuell und vielleicht auch etwas mit der smarten Apple Watch zu tun haben könnte, wurde von Fachpresse und Herstellern unisono verneint. Nein, niemals, die Smartwatch sei allenfalls eine vorübergehende Erscheinung. Mit den Rückgängen im Verkauf habe das ja rein gar nichts zu tun, tönte es laut und vernehmlich.
Als Frédérique Constant und Mondaine dann als erste Schweizer Uhrenmarken mit einer, nennen wir sie mal Mildhybrid-Smartwatch auf den Markt kamen, wurde das Ganze ebenfalls eher belächelt, denn wirklich ernst genommen. Auch wurde häufig davon gesprochen, dass die Uhr nicht richtig funktionieren würde, im Übrigen viel zu teuer wäre und darüber hinaus weiteres unsachliches “BlaBla” verbreitet.
Im Bild: Mondaine, hybride Horological Smartwatch
Fast gleichzeitig hat der umtriebige und visionäre Chef von TAG Heuer, Jean-Claude Biver, angekündigt, zusammen mit Intel und Google etwas auf die Beine zu stellen. Das war 2015. Die Baselworld befand sich damals noch immer im Dornröschenschlaf und die Presse ist mit ungebrochener Begeisterung von einem Manufakturkaliber zum nächsten gepilgert, schließlich wurden noch immer rauschende Partys gefeiert und der Schampus floss reichlich. Eine Uhr ohne richtiges Manufakturkaliber, so wurde gebetsmühlenartig postuliert, sei ja immer nur die zweitbeste Wahl.
Als dann TAG Heuer im letzten Jahr seine Connected in Basel auf einem recht unkonventionell, eher an Media- und Saturnmärkte erinnernden Probiertisch vor dem eigentlichen Messestand dem Publikum präsentierte, war schnell klar, was hier los ist. Dieser Tisch war eigentlich immer gut frequentiert, von Jung bis Alt. Jeder interessierte sich dafür.
Im Bild: TAG Heuer Connected, Baselworld 2016
Auch die Presse, die zuvor noch lauthals verkündete, eine Smartwatch sei doch gar keine Uhr, sondern ein Microcomputer, ein Gadget, kurzum ein seelenloses Gebilde, hat jetzt eine erste vorsichtige Kontaktaufnahme gewagt. Der ein oder andere war ja zuvor schon mal nach New York zur offiziellen Vorstellung gepilgert, auf Kosten des Veranstalters versteht sich, und musste dann notgedrungen und wider seiner Natur doch etwas Positives dazu texten. Und diese nicht unerheblichen Kosten zahlt – wie selbstverständlich – der Kunde über den erhöhten Preis des Produktes. Ist das noch zeitgemäß? In anderen Branchen weht auch an dieser Stelle der Wind längst aus einer völlig neuen Richtung.
Aber was ist seither passiert? Das Jahr 2016 war getragen vom Lecken der Wunden, denn die Geschäfte liefen schließlich bis auf ganz wenige Ausnahmen ziemlich schlecht bis sehr schlecht. Aber ein neues Manufakturkaliber oder gar eine Siliziumspirale werden immer noch als der Weisheit letzter Schluss gefeiert. Es hat nur scheinbar immer noch keiner gemerkt, dass das Interesse an diesen Themen in der Öffentlichkeit und beim Leser spürbar nachgelassen hat. Dank leerer Kassen wurde dann statt Dom Perignon jetzt schon mal Sparkling Wine nach Methode Champenoise ausgeschenkt. Wie peinlich!
Die junge Generation hat dafür nur ein Kopfschütteln übrig und fragt sich, wovon reden die, was machen die da eigentlich? Kommen die aus dem Museum, oder gar von einem fremden Stern, oder um was geht es hier, was wollen die uns sagen?
Schöne Neue Welt eben: Die Welt der Smartphones, Minicomputer, Wearables und der Digitalisierung. Connected und Social Media, rund um die Uhr. Und wer bedient das? Auf der Baselworld 2016? Immer noch weitgehend Fehlanzeige! Die junge Generation wird an Messen wie CeBit, CES, MWC, IFA, ISPO, usw. verwiesen.
Die Fachpresse schüttelt nach wie vor ungläubig den Kopf und versteht die Welt nicht mehr.
Da gibt es aber bereits ganz andere Medien, unzählige Print- hauptsächlich aber starke Online Plattformen, wie Heise Online, Chip, c’t, Computerbild, PCtipp, und, und, und…., die sich der Thematik längst angenommen haben und wirklich wissen, wovon sie sprechen. Und dann kümmern sich auch noch völlig andere Absatzkanäle, wie die großen Elektronikdiscounter, Amazon & Co. um die Kunden und was finden wir dort? Genau: Die Schöne Neue Welt.
Im Bild: 15 Meter lange OLED-Tunnel von LG, bestehend aus 216 einzelnen 55-Zoll-Curved-OLED-Displays mit 447.897.600 Pixeln, auf der IFA 2016
Neben Flatscreen-TV´s mit übergroßen Curved-Megadisplays gibt es dort Fitnesstracker und eben auch Smartwatches aller bekannten und weniger bekannten Hersteller. Die IT-Giganten Apple, Asus, Huawei, LG, Samsung & Co. haben das Thema längst entdeckt und an sich gerissen. Und die Baselworld? Schläft die weiter? Und die Schweizer und die Deutschen Uhrenhersteller, mit Ausnahme TAG Heuer und neuerdings Montblanc, schlafen die auch alle weiter? Und die verunsicherte Fachpresse was macht die? Versteht sie die Welt noch?
Nein, jetzt sind alle aufgewacht, (fast) alle sind hellwach! Was ist passiert?
Die Baselworld hat immer mehr Probleme, ihre üppigen Flächen zu füllen. So wie der Schampus nicht mehr so reichlich fließt, ist auch der ein oder andere Stand (gesund) geschrumpft, weil das Marketing Budget zwangsläufig zusammengestrichen wurde oder was noch viel schlimmer ist, wenn eine Insolvenz dem Aussteller gar den kompletten Knock-Out verpasst hat, oder die Fläche – aus welch sonstigen Gründen auch immer – gar nicht mehr belegt wird.
Was tun sprach Zeus? Nun, Not macht bekanntlich erfinderisch und so kann sich Samsung mit einem 46 m langen Stand erstmals auf der Baselworld in Halle 1.1, abseits von CES, CeBit, ISPO, MWC, IFA, und, und, und …. in angenehmer und viel entspannterer Atmosphäre auch jenen Uhreninteressierten präsentieren, die neben all den feinen Manufakturkalibern auch gerne die (Uhren-) Welt von Morgen näher kennenlernen möchten.
Im Bild: Samsung Gear S3 Frontier, gestaltet vom Schweizer Designstudio Yvan Arpa
Nachdem nun TAG Heuer vor wenigen Tagen die Rakete der zweiten Generation seiner TAG Heuer Connected, Modular 45 genannt, gezündet hat, passt ja fast alles. Nun hat auch noch Montblanc mit seiner neuen Smartwatch “Summit” – zwar nicht als Aussteller in Basel vertreten, die Groupe Richemont geht mit der SIHH bekanntlich ihren eigenen Weg – deutlich gemacht, dass der Weckruf mittlerweile auch bei Johann Rupert, dem CEO der Compagnie Financière Richemont, angekommen ist. Allein die Swatch Group besitzt ein noch höheres Trägheitsmoment und lässt sich bis Ende 2018 Zeit, um dann runde 10 Jahre nachdem der junge Migicovsky sich erstmals mit dem Thema Smartwatch beschäftigt hat, angeblich etwas ganz Sensationelles vorzustellen. Gut Ding braucht Weile, mal mehr, mal weniger.
Im Bild: TAG Heuer Connected Modular 45
Ist die Smartwatch in der Einschätzung der wirklichen Experten und Strategen damit immer noch eine vorübergehende Erscheinung? Wohl kaum! Sonst hätten Konzerne, wie LVMH und Richemont jetzt nicht diesen Weg eingeschlagen. Und Nick Hayek wird seit Kurzem auch nicht müde, der Welt zu sagen, dass er doch auch etwas tue.
Und die Presse, die bis vor kurzem noch getönt hat, die Smartwatch sei doch gar keine richtige Uhr, die baut – getreu Konrad Adenauer, “was interessiert mich mein Geschwätz von gestern” – auf das Kurzzeitgedächtnis der Leser, korrigiert die Richtung und schwenkt auf den neuen Pfad ein, Hauptsache, die Partylaune kehrt baldmöglichst zurück. Aber kehrt sie denn wirklich wieder zurück?
Im Bild: Montblanc Summit Smartwatch
Dummerweise ist die Elektronik ein völlig anderes, viel dynamischeres, extrem schnelllebiges und gleichzeitig sehr viel komplexeres Pflaster. Auch die Margen sind in aller Regel sehr viel dünner. Da geht es in erster Linie um Stückzahl und Geschwindigkeit. Und die Elektroniker sind ziemlich sparsame Leute, denn der Wettbewerb dort hat eine ganz eigene Qualität. Eine Fossil Q-Wander kostet gerade einmal ein Drittel dessen, was die neue Montblanc Summit Smartwatch kostet und bietet bis auf den fehlenden Pulssensor sonst exakt die gleiche Technologie. Beide sind im Übrigen “Made in China”, noch Fragen?
Ein mechanisches (Manufaktur-) Kaliber ist ein durchschaubares und gut erklärbares, mehr oder weniger komplexes Funktionsgebilde. Ein gut ausgebildeter und erfahrener Meisteruhrmacher beherrscht in der Regel selbst aufwendige Komplikationen und kann, wenn er genügend Zeit bekommt, auch etwas sehr Komplexes realisieren.
Im Bild: RONDA R150 automatic Movement
Im Bild: Vacheron Constantin, Calibre 3750, bestehend aus 2.800 Einzelteilen
Elektronik hingegen ist nicht wirklich sichtbar und für den Einzelnen schon längst nicht mehr überschaubar. Abermillionen von Schaltkreisen, die in einem modernen Mikroprozessor auf kleinster Fläche ihre Arbeit verrichten, entziehen sich dem normalen Vorstellungsvermögen. Hier haben wir es mit einer hochgradig abstrakten Materie zu tun. Ein einzelner Ingenieur wäre hoffnungslos überfordert, müsste er alle Details eines Mikrocomputers – und nichts anderes ist eine Smartwatch – in seiner ganzen Tiefe verstehen oder gar entwickeln.
Im Bild: Chipsatz der Apple-Watch 1
Aber der Mikrocomputer ist ohne Software, ähnlich einem mechanischen Uhrwerk ohne Schwingsystem, ein totes Gebilde. So, wie erst die Unruh und die Spiralfeder ein mechanisches Uhrwerk in Schwingungen versetzen, so erweckt nur hochkomplexe, mit mehreren Millionen Programmzeilen aufwartende Software eine moderne Smartwatch zum Leben und haucht ihr all jene Funktionen ein, derer sich die verschiedenen Anbieter von Smartwatches nun bedienen. Dazu bedarf es ganzer Hundertschaften von Entwicklern, die so etwas stemmen und pflegen und dann auch noch in einer atemberaubenden Geschwindigkeit.
Im Bild: Der Samsung Konzern wendet 2016 jeden Tag 30 Mio. EURO, allein für Forschung und Entwicklung auf
Und wie sieht die Fachpresse das? Fähnlein dreh Dich – schließlich bläst der Wind jetzt aus einer anderen Richtung – und berichten wieder brav das, was die Hersteller aktuell vorbeten.
Schöne Neue Welt!
LINKS:
Zwei Welten treffen aufeinander: hier innovative Elektroniker wie Samsung oder Apple, dort traditionsbewusste Feinmechaniker vor allem schweizerischer Provenienz. Letztere dürften ihre Potenziale weitgehend ausgeschöpft haben (nur wenige Kunden werden noch mehr Einzelteile in einem Gehäuse wertschätzen, vor allem, wenn kaum noch echte Funktionsgewinne damit verbunden sind). Dagegen sind die Möglichkeiten der Elektronik bei weitem nicht ausgereizt, weitere Innovationen werden vor allem von dieser Seite zu erwarten sein.
Die Frage könnte allerdings sein, erreichen all diese Innovationen den Kunden und wird er mitgenommen in die Welt der (nahezu) unbegrenzten Möglichkeiten, oder wird ihm das irgendwann zu kompliziert und fremdbestimmt, was er sich ums Handgelenk bindet (ähnlich wie beim Fotografieren, wo sich die Mehrheit mit dem zufrieden gibt, was ihr Handy kann).
Pingback: Die Baselworld 2020 träumt von Apple & Co. - Smarte Uhren und Zeitmesser