Der alljährlich in Genf auf dem Gelände der Palexpo stattfindende Salon EPHJ-EPMT-SMT ist eine der weltweit wichtigsten Messen zu den Themen Mikromechanik und Präzisionstechnik.
Die über insgesamt 4 Tage dauernde Messe gliedert sich in die Bereiche Uhrmacherei und Schmuck sowie Mikrotechnologie und Medizintechnik. Mit 820 Ausstellern aus aller Welt verzeichnete die Messe gegenüber dem Vorjahr einen leichten Rückgang. Mit rund 20.000 Besuchern blieb die Zahl der Besucher auf dem Niveau des Vorjahres.
Die Bilanz des Veranstalters und der Aussteller fiel denn auch überwiegend positiv aus, wenngleich unüberseh- und unüberhörbar war, dass sich die Rahmenbedingungen verändern und dem ein oder anderen Zulieferbetrieb nach wie vor Kopfzerbrechen bereiten. Insbesondere jenen, die vollständig oder in hohem Maße von der klassischen Uhrenindustrie abhängig sind.
In 2016 kam es durch den massiv rückläufigen Absatz an Uhren auf den internationalen Märkten zu erheblichen Verwerfungen. Die Zulieferer bekamen diesen Druck unmittelbar zu spüren, sei es, dass deren Kunden Rationalisierungsmaßnahmen fordern, sei es, dass es um die bloße Reduzierung der Kosten geht.
Dennoch, die Stimmung unter den Ausstellern hat sich gegenüber dem Vorjahr sicht- und spürbar aufgehellt. Die Auftragsbücher füllen sich wieder und die zahlreichen Innovationen beginnen ihre Früchte zu tragen. Dabei gibt es einen starken Trend zurück in die Geschichte, bei dem sich verschiedene Anbieter alter Techniken und Verfahren erinnern und diese für die Realisierung neuer Produkte geschickt zu nutzen wissen.
Es gibt aber auch den gegenläufigen Trend, nämlich ganz neue Wege zu beschreiten, neue Verfahren zu entwickeln und neue Werkstoffe zum Einsatz zu bringen.
Also von allem etwas: Das waren spannende Aussichten für interessante Begegnungen und Gespräche. Bemerkenswert in diesem Jahr war auch, dass mit Eterna Movement und La Joux Perret zwei weitere Werkeproduzenten den Weg nach Genf zur EPHJ gefunden haben und mit dem Ergebnis ihrer Gespräche und Kundenkontakte überaus zufrieden waren.
Adatte Design
Beginnen wir gleich mit einer Innovation aus den frühen Tagen der Elektronik. Die Firma Adatte Design, bekannt für aufwendige Verpackungen und Accessoires zur Dekoration und Präsentation von hochwertigen Uhren und Schmuck, betritt abseits bekannter Pfade zur Abwechslung gerne Neuland. Der Chef des Hauses, Jeremia Adatte, stöbert mit größtem Vergnügen in alten Archiven und entdeckt dabei so manche Rarität, die ihn zur Realisierung neuer Produktideen inspiriert.
So entdeckte er in Osteuropa eine nennswerte Menge alter, aber unbenutzter (New Old Stock auf Neudeutsch) Ziffernanzeigeröhren. Aus diesem Dachbodenfund entsann er eine mit insgesamt 6 dieser Ziffernanzeigeröhren bestückte Weltzeituhr. So entstand mit diesem Relikt aus vergangenen Tagen der Elektronik eine Neuinterpretation und ein „Hingucker“ für das zeitgenössisch gestaltete Büro oder Wohnzimmer.
Aus einem weiteren „Dachbodenfund“ perfekt erhaltener Kathodenstrahlröhren, der deutschen Traditionsmarke Telefunken, wie sie in den 60er Jahren in hochwertigen Oszilloskopen Verwendung fanden, ließ der findige Designer eine stylische Uhr für den Schreibtisch bauen.
Ebenfalls mit dem Thema Licht und seiner ganzen Vielfalt befasst sich die Firma Tritec.
Tritec
Kaum eine Uhr mit selbstleuchtenden Ziffern und Zeigern, die nicht mit Leuchtmasse der Schweizer Firma Tritec ausgerüstet wird. Die in Familienbesitz befindliche Firma ging durch eine wechselvolle Geschichte. Das Unternehmen wurde 1934 gegründet und stellt seitdem Nachleuchtpigmente für die Uhrenindustrie her.
War Leuchtmasse bis vor wenigen Jahren hauptsächlich in grüner blauer oder oranger Farbe anzutreffen, so deckt Tritec, mit seinen unter dem Markennamen Luminova besser bekannten Produkten, mittlerweile nahezu das gesamte Farbspektrum ab.
Neu auf dem Markt ist ein Leuchtmittel, welches in reinem Weiß erstrahlt und sich auch für die Anwendung bei Schmuck eignet, wie am Beispiel der im Bild illustrierten Ringe.
Monyco
Die von Tritec angebotenen Luminova Leuchtfarben eignen sich aber auch hervorragend für künstlerische Anwendungen. Die Firma Monyco zeigte anhand beeindruckender Beispiele die ganze Vielfalt der Möglichkeiten auf.
Damit lassen sich z.B. Zifferblätter gestalten, die erst bei Dunkelheit ihre ganze Pracht entfalten.
INJECTOR
Die Firma hat einen Compoundwerkstoff entwickelt, der es gestattet, verschiedenste, auch in der Natur vorkommende, organische oder anorganische Stoffe und Farben beizumischen und daraus Materialblöcke herzustellen, die sich, ähnlich wie Stahl, mittels CNC-Fräsen, in die gewünschte Form bringen lassen.
Wie im unten abgebildeten Beispiel gut zu erkennen ist, lassen sich unterschiedlichste Farbtöne, aber auch Muster und Strukturen in das Material einbringen.
Die neueste Entwicklung von INJECTOR zeigt eine mit Glas vergleichbare Transparenz. Daraus lassen sich beispielsweise Gehäuse für Uhren fertigen, die im Aussehen jenen aus Saphirglas entsprechen, jedoch zu deutlich günstigeren Konditionen, bei sehr guten Materialeigenschaften und hoher Kratzfestigkeit.
Das im nächsten Beispiel gezeigte Uhrengehäuse wurde für die Firma ArtYa und deren unkonventionelles Uhrenmodell “Son of a Gun” entwickelt und beeinhaltet sogar zwei seitlich eingebrachte scharfe Projektile. Es gibt wirklich nichts, was es nicht gibt.
Andere Beispiele zeigen in das Compound eingebrachte Naturalien. Von Reis- über Sandkörner bis hin zu Grashalmen. Das Besondere daran ist, dass das eingebrachte Material zu 100% von dem Compound umschlossen wird, d.h. an keiner Stelle in Kontakt mit der Umwelt steht. So sind die im Beispiel gezeigten Griffe für Besteck absolut spülmaschinenfest.
Am Stand von Firma Gabus entdeckten wir Uhren, die an die legendäre Stone-Watch von Tissot aus den 80er Jahren erinnerten.
Gabus / Yunik
Statt Naturstein, wie es bei Tissot seinerzeit der Fall war, verwendet Yunik nach eigenen Angaben für die Herstellung des Uhrengehäuses echtes Murano-Glas. Für das Deckglas kommt Saphir zum Einsatz und werkeseitig, je nach Modell, ein Schweizer Quarz- oder Automatik-Kaliber.
Murano
Ein paar Stände weiter, konnte der Besucher zusehen, wie das wertvolle Murano Glas hergestellt wird.
Murano ist eine Inselgruppe nordöstlich der Altstadt von Venedig, in der Lagune von Venedig. Sie ist bekannt für ihre Glaskunst. Venedig kann als Wiege der mitteleuropäischen Glasherstellung angesehen werden. Das älteste belegbare Dokument geht auf das Jahr 982 zurück.
Bei Temperaturen von mindestens 800 Grad Celsius erhält das Glas eine formbare Konsistenz, die nur für wenige Augenblicke bestehen bleibt. Die Temperatur muss über den gesamten Prozess der Formgebung aufrechterhalten werden. Deshalb wird das Glas in der Flamme immer wieder erhitzt, bis die endgültige Form erreicht ist.
Ein typisches Merkmal von Murano-Glas sind die farbenfrohen, dekorativen Punkte in Blumen- oder Augenform, welche die Werkstücke schmücken – die sogenannten Millefiori. In ihrer Herstellung liegt die besondere Kunst der Glasmacher von Murano.
Die farbenfrohen Rohlinge werden dann in aufwendiger Handarbeit zu Schmuck oder eben Gehäuse für Uhren weiterverarbeitet.
Chronode
Bereits im Frühjahr 2018 hatten wir die Gelegenheit, die Firma Chronode in Le Locle zu besuchen. Chronode ist einer der Think- und Engineering Tanks, aus denen zahlreiche bekannte und ruhmreiche Marken ihre komplizierten Kreationen schöpfen. Ob das die wiederauferstandene Marke Czapek ist, die legendäre Firma MB&F von Max Büsser, HYT oder die zur Swatch Group gehörende Nobelmarke Harry Winston, sie alle geben sich bei Chronode die Türklinke in die Hand.
Mit Jean-Francois Mojon als General Direktor von Chronode ist einer der fähigsten und anerkanntesten Schweizer Uhrmacher eine feste Größe in der Szene der besten und kompliziertesten Schweizer Uhren.
Aber Jean-Francois Mojon ist nicht nur bekannt für seine High-End Kreationen, sondern er denkt auch gerne quer, und blickt weit nach vorne in die Zukunft und da sieht er für die klassische Mechanik nicht nur alles in schillernden Farben, sondern beschäftigt sich intensiv mit neuen, von der Branche bisweilen noch argwöhnisch betrachteten hybriden Lösungen. Unter der Produktbezeichnung X-One hat er zusammen mit dem Uhren-Designer Pierre-André Finazzi das Zukunftsprojekt X-One aufgelegt.
SWISSNESS Horlogère
Gerne auf Entdeckungstour gehen wir alljährlich am Stand von Swissness. Alexandre Hodor kümmert sich bei SWISSNESS Horlogère vorzugsweise um spezielle Lösungen für Uhren und Uhrenmarken der Extraklasse.
Dieses Jahr konnten wir einen vertiefenden Blick auf die Uhren von Franc Vila werfen, deren Gehäuse aus einem transparenten Polymerwerkstoff (siehe auch Firma Injector) gefertigt werden, der sich ähnlich wie Stahl verhält und sich auf gängigen CNC-Fräsautomaten bearbeiten lässt.
Das durchgefärbte, transparente Compound auf Polymerbasis verleiht der Uhr ihre ganz besondere Ausstrahlung.
AJS Production SA
Geht es um Komplikationen und diffizile Herstellverfahren, so wird der Suchende bei AJS Production fündig. AJS wurde 2016 für sein rein modular aufgebautes Funktionsmodul der EPHJ Innovationspreis verliehen, welches dem Uhrendesigner ermöglicht, die Anordnung der einzelnen Anzeigen, innerhalb gewisser Grenzen, zu variieren.
AJS zeichnet aber auch für die Herstellung von komplizierten Werkekomponenten für bekannte Luxusuhrenhersteller verantwortlich.
Eine weitere Besonderheit sind die im Ätzverfahren hergestellten filigranen Datumsscheiben, wie sie neuerdings von einigen Uhrenhersteller bei ihren skelettierten Modellen zum Einsatz kommen.
Mehr und mehr entstehen Uhrwerksbestandteile nicht mehr nur unter Anwendung mechanischer Bearbeitungsverfahren, sondern mittels komplizierter fotolithographischer Prozesse und anschließendem elektrogalvanischen Materialauftrag (LIGA-Verfahren).
Aber es geht auch zunehmend um Komponenten, die aus Silizium, einem aus der Sensor- und Halbleitertechnik bekannten Werkstoff, gefertigt werden. Die Herstellungsverfahren ähneln hinsichtlich Aufwand und Appartetechnik deshalb denen der Halbleiterindustrie.
Dazu besuchen wir die beiden gemeinsam ausstellenden Firmen
MIMOTEC und SIGATEC
Die Firma MIMOTEC hat sich auf die Herstellung von Hochpräzisionsteilen im sog. LIGA-Verfahren spezialisiert. Der Begriff steht für (Lithographie, Galvanik und Abformung) und bezeichnet ein Verfahren, welches auf einer Kombination von Tiefenfotolithographie, Galvanik und Mikroabformung basiert. Es wurde Anfang der 1980er Jahre am Kernforschungszentrum in Karlsruhe entwickelt.
Ausgangsmaterial ist ein ebenes Substrat. Das kann ein Wafer aus Silizium oder eine polierte Scheibe aus Beryllium, Kupfer, Titan oder anderen Materialien sein. Das Substrat, soweit nicht schon elektrisch leitend, wird durch Aufdampfen mit einer metallischen „Keimschicht“ versehen. Auf die Startschicht wird ein lichtempfindlicher Fotolack (Positivresist) aufgebracht.
Der Fotolack wird belichtet, anschließend entwickelt und an jenen Stellen wieder abgelöst, an denen der spätere Schichtaufbau erfolgen soll.
Mittels Galvanik wird ein Metall auf dem Substrat in jenen Bereichen abgeschieden, in denen der Fotolack zuvor mittels Ätztechnik entfernt wurde.
Nach dem vollständigen Entfernen des Fotolacks bleiben das Substrat, die Keimschicht und das zuvor abgeschiedene Material zurück. Jetzt gibt es verschiedene Möglichkeiten für das weitere Vorgehen:
- Durch Ätzen der Keimschicht (die jetzt als Opferschicht fungiert) und eventuell des Substrats können unmittelbar (auch kleinste) metallische Bauteile in höchster Präzision hergestellt werden.
- Durch einen weiteren Galvanikprozess („Überwachsen“) und anschließendem Entfernen von Substrat und Keimschicht kann aus der fotolithografisch erzeugten Mikrostruktur ein Formeinsatz erzeugt werden, der in ein Formwerkzeug eingebaut wird, mit dem beispielsweise das gewünschte Bauteil aus Kunststoff durch Spritzgießen oder Heißprägen hergestellt wird.
- Alternativ kann der Formeinsatz direkt aus dem Substrat mit der fotolithografisch erzeugten Mikrostruktur z. B. durch Funkenerosion herausgeschnitten werden und in ein Abformwerkzeug eingesetzt werden.
Das Verfahren ermöglicht die Herstellung von Mikrostrukturen mit kleinsten Abmessungen bis zu 0,2 µm, bei Strukturhöhen von bis zu 3 mm.
SIGATEC SA (Silizium-Technologie, MEMS-Verfahren)
Geht es hingegen um die Herstellung von Uhrwerkskomponenten aus Silizium, so kommt die Firma SIGATEC zum Zug.
Einst hat Firma Bosch die MEMS-Technik (Micro-Electro-Mechanical System) für die Realisierung extrem empfindlicher und hochpräziser Crash-Sensoren für die Airbag-Auslösung in Kraftfahrzeugen entwickelt.
Dieser Entwicklung ist zu verdanken, dass Beschleunigungs- und Gyrosensoren, die unter Anwendung von Verfahren der Mikrosystem-Technik produziert werden, heute zu Abermillionen für ganz kleines Geld verfügbar sind und nahezu in jedem Smartphone zu finden sind. Ihre Aufgabe ist es, jegliche Art von Bewegungen zu erkennen, das Display zu drehen, Schritte zu zählen, oder den eingebauten Kompass mit Informationen zu Lage und Position zu versorgen.
Und genau auf diesen Technologien setzt nun die Uhrenindustrie auf. Zum einen lassen sich mittels MEMS – ähnlich wie dem mittels zuvor beschriebenen LIGA-Verfahren – Genauigkeiten im Nanometerbereich, bei Schichtdicken von rund 10 µm realisieren und damit Bauteile in einer bislang nicht gekannten Präzision produzieren.
Zum anderen hält der ursprünglich aus der Sensorik und Halbleitertechnik stammende Werkstoff Silizium unaufhaltsam Einzug in den Bau von mechanischen Uhrwerken. Die im Ätzverfahren hergestellten Bauteile lassen sich in einer Genauigkeit fertigen, die um mindestens Faktor 10 höher liegt als dies jede Form der mechanischen Materialbearbeitung je ermöglichen würde.
Auch die Oberflächen dieser aus Silizium gefertigten Bauteile sind von einer unübertroffenen Güte, so dass sich deren Schmierung häufig erübrigt, und sie für den Einsatz in einer öl- und fettfreien Hemmungsbaugruppe geradezu prädestiniert.
Beide Unternehmen zeigen auf eindrucksvolle Weise, wie die Mikrotechnik einerseits, und neue Werkstoffe andererseits, in den Uhrwerksbau Einzug halten.
Das wird der innovative Uhrenfreund begrüßen, da sich damit eine ganze Reihe funktionaler Vorteile erschließen lassen. Die Einhaltung der Chronometernorm wird zum Kinderspiel und aufwendige Einricht- und Justagearbeiten am Uhrwerk können künftig entfallen. Die Bauteile werden bereits in einer Genauigkeiten gefertigt und angeliefert, die nachträgliche Selektions- Klassierungs- oder Justageprozesse überflüssig machen.
Die treibenden Kräfte sind also die steigende Präzision einerseits bei gleichzeitig sinkenden Kosten andererseits. Zeit- und damit kosteninstensive Justagearbeiten können entfallen.
Des einen Freud, des anderen Leid könnte man fast sagen. Der Traditionalist unter den Freunden der mechanischen Uhr wird diesem neuen Trend hingegen eher skeptisch, vielleicht sogar ablehnend gegenüberstehen, denn sollte einmal ein Defekt oder eine Abweichung durch Verschleiß oder Alterungsprozesse auftreten, so lassen sich diese Bauteile nur noch austauschen. Ein Nacharbeiten, Nachregulieren oder auch eine Neuanfertigung durch den Uhrmacher des Vertrauens, wie dies heute bei wertvollen antiken Preziosen noch gängige Praxis ist, schließt sich bei dieser Technologie aus. Mit der oftmals auch heute noch viel beschworenen Handwerkskunst hat das leider nichts mehr zu tun.
Kommen wir von den Uhrwerkskomponenten zu den Werke- bzw Modulherstellern.
DUBOIS-DÉPRAZ
Dubois-Dépraz ist im Vallée de Joux, inmitten des Uhren-Mekkas, zuhause und hängt stärker, als manch anderer, von Aufträgen großer Uhrenhersteller ab. Dubois-Dépraz zeigt sich mit dem aktuellen Geschäftsverlauf jedoch insgesamt zufrieden. Nach einer Phase der Konsolidierung und Korrektur, zieht die Auftragslage wieder an. Das ist einerseits der Tatsache geschuldet, dass der Hersteller zusammen mit seinen Kunden laufend an Weiter- und Neuentwicklungen arbeitet, es konnten aber auch neue Kunden, vor allem aus Deutschland, hinzu gewonnen werden.
Auch der Wechsel an der Spitze des Unternehmens macht sich bemerkbar. Pierre Dubois, der zuletzt die kleine aber feine Uhrenmarke Pierre DeRoche aufgebaut und erfolgreich geleitet hat, bringt frischen Wind ins Unternehmen.
Oben im Bild die fertige Uhr von Pierre DeRoche, unten im Bild das aufwendige Funktionsmodul von Dubois-Dépraz mit der um das freigeschnittene Zifferblatt herum angeordnete und exklusiv für Pierre DeRoche entwickelten retrograden Anzeige der Sekunden in Zehnerschritten.
Besonders im Trend liegen farbige Uhrwerkskomponenten, die durch geöffnete oder skelettierte Zifferblattdesigns sichtbar gemacht werden. Dazu sind spezielle Beschichtungstechniken entwickelt worden, die es ermöglichen, eine ganze Reihe unterschiedlichster Farbtöne zu realisieren und zwar unter Verwendung der klassischen im Uhrwerksbau eingesetzten Werkstoffe aus Buntmetallen, wie Messing oder Neusilber. Das bislang für diese Zwecke oftmals eingesetzte farblich eloxierbare Aluminium hat sich nicht bewährt.
Dubois-Dépraz hat aber auch eine ganze Reihe neuer sehr flach bauender Funktionsmodule entwickelt, bis hin zum klassischen Chronographen mit Eindrückerbedienung, oder sogar mit Kronensteuerung.
Da Dubois-Dépraz herstellerunabhängig arbeitet, bieten sich so auch für kleinere Hersteller eigener Manufakturkaliber interessante Möglichkeiten der Funktionserweiterung, ohne den steinigen und oft unwirtschaftlichen Weg einer kostspieligen Eigenentwickung gehen zu müssen.
SOPROD
Die Neuordnung in der Welt der Uhrwerke betrifft auch den zur Festina Gruppe gehörenden Werkeproduzenten SOPROD. Gesamthaft sind mittlerweile Überkapazitäten am Markt, die mit unterschiedlichen Methoden und Erfolg versuchen, ihre Geschäftstätigkeit abzusichern.
Nach den Ankündigungen von ETA, die Belieferung von Drittkunden mit mechanischen Uhrwerken Zug um Zug zu reduzieren, machten sich viele Uhrenhersteller daran, eigene Kaliber zu entwickeln. Auch Hersteller von ETA Clones konnten sich in Zeiten, als die Nachfrage jedes Jahr noch zweistellig zulegte, gut positionieren.
Jetzt fällt dem Werkehersteller ETA seine Strategie der künstlichen Verknappung jedoch vor die eigenen Füße. Die Bedarfe von Drittkunden sind stagnierend bis rückläufig, so dass, zur besseren Auslastung der Produktionskapazitäten, das Drittkundengeschäft – zum Leidwesen alternativer Anbieter – nun doch wieder forciert wird. Der Verdrängungswettbewerb lässt grüßen.
Dem ist bereits im November 2016 der Werkehersteller Technotime zum Opfer gefallen. Die Festina Group hat Teile daraus übernommen und bei SOPROD integriert. Von Interesse war der von Technotime nahezu fertig entwickelte und in einigen Punkten verbesserte ETA 2824 Clone (zu erkennen an der durchgehenden Unruhbrücke), der unter dem Namen Soprod M800 Newton vermarktet wird. Ob das Vorhaben von Erfolg begleitet sein wird, bleibt abzuwarten.
Keinen Zweifel am Erfolg gibt es hingegen bei den intelligenten Uhrwerken. Der Bereich Smart Movement entwickelt sich bei SOPROD weit jenseits aller Erwartungen. Mit aktuell mehr als 150 T Stück/anno wird an der Kapazitätsgrenze gearbeitet. Deshalb wird dieses Thema von Soprod aktuell auch nur wenig beworben.
ISA-SWISS
Der bekannte Hersteller von Quarzwerken gab auf Anfrage zu Protokoll, dass zusammen mit Partnerfirmen an einem intelligenten Uhrwerk gearbeitet wird. ISA liefert dazu das Räderwerk und die Schrittmotore, ein asiatischer Partner die erforderliche Elektronik, nebst Software.
Eterna Movement
Seit 2012 fertigt Eterna Movement SA als unabhängiger Uhrwerkshersteller hochwertige Uhrwerke auch für Drittkunden. Die Gründung der Eterna Movement SA beruht auf einer mehr als 150-jährigen Geschichte der Uhrenfirma Eterna SA, einer “Manufaktur”, die ursprünglich auch für die Gründung der Firma ETA verantwortlich zeichnet. Wichtige Meilensteine in der Geschichte von Eterna Movement SA sind das neu entwickelte, kugelgelagerte “Spherodrive” – Design sowie die Kaliber 39-Familie, aus der bis zu 88 verschiedene Uhrwerke abgeleitet werden können.
Das Unternehmen geriet während der schwierigen Jahre 2013 – 2016 jedoch gewaltig unter Druck, just zu einer Zeit als die vielversprechende Kaliberfamilie 39 vorangebracht und in Großserie aufgelegt werden sollte. Nun hat der chinesische Eigentümer und Investor, Citychampo Watch & Jewelry, sein Commitment zu Eterna bekräftigt und jegliche finanzielle Zweifel ausgeräumt.
Eterna Movement kann den Markt nun offensiv bespielen, sein modular aufgebautes und flexibel einsetzbares Kaliber 39 bewerben und potenziellen Kunden zu wettbewerbsfähigen Konditionen anbieten.
Die Kaliberkonstruktion wurde von den Ingenieuren dabei so gestaltet, dass die äußeren Anschluß- und Einbaumaße dem eines Valjoux 7750 entsprechen, das Werk sich also problemlos in bereits vorhandene Gehäuse einsetzen lässt.
Das Kaliber 39 deckt aber nicht nur die Funktion eines Chronographen ab, mit Schaltradsteuerung und, falls gewünscht, auch mit Flyback, nein das Kaliber 39 startet bereits mit einer 3-Zeiger Variante und Handaufzug. Alle anderen Funktionen, ob automatischer Aufzug, Anzeige von Datum und Mondphase bis hin zum eben erwähnten multifunktionalen Chronographen wird durch das Einsetzen bzw. Weglassen von Zusatzbauteilen realisiert. Der geniale Lego-Baukasten lässt grüßen.
Und in jedem Fall handelt es sich um eine voll integrierte Lösung, also nicht durch Aufsetzen von Funktionsmodulen! Das ist der gewaltige Unterschied zu vielen anderen auf dem Markt befindlichen Konstruktionen.
Eterna Movement bedient sich bei der Realisierung zahlreicher Zulieferanten, bei denen Komponenten zugekauft werden. Das gilt auch für das gesamte Hemmungssystem. Den Weg, hier etwas eigenes zu machen, wollte Eterna Movement bewusst nicht gehen, sondern greift auf das in Schweiz hervorragend ausgebauet Netzwerk hochspezialisierter Zulieferer zurück.
Das Kaliber 39 ist damit eine interessante Alternative zu all den oftmals in Kleinststückzahl gefertigten und mit immensen finanziellen Aufwand entwickelten sog. Manufakturkalibern, über deren längerfristige Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit nur spekuliert werden kann.
La Joux Perret
Ein weiterer interessanter Werkehersteller, der sich erstmals auf der EPHJ präsentierte, ist La Joux Perret. Das heute zur Citizen Group gehörende Unternehmen, ist bekannt durch Umbauten oder funktionale Ergänzungen bekannter Großserienkaliber von ETA oder Sellita. Weniger bekannt sind hingegen die in den letzten Jahren entstandenen eigenen Kaliberkonstruktionen. Anwendungen hierfür finden sich sowohl innerhalb der Citizen Group z.B. bei Arnold & Son oder Angelus, aber auch bei zahlreichen Drittkunden. Die Entwicklung exklusiver kundenspezifischer Lösungen gehört ebenfalls zur Spezialität von La Joux Perret.
Nachfolgend einige Beispiele aus dem umfangreichen Portfolio des Herstellers.
Aus der Serie Mouvement Manufacture: Calibre LJP7500 Handaufzug, 8 Tage Gangautonomie, skelettiert:
Fliegendes Tourbillon, LJP7814, im Einsatz bei Angelus
Oben die Ansicht der Zifferblattseite, unten die Ansicht der Rückseite des Kaliber LJP7814.
Fliegendes Tourbillon, Kaliber LJP7390, im Einsatz bei Arnold & Son
.
Das Chronographen Kaliber LJP8000 mit einer Vielzahl möglicher Variationen: Der Kunde kann die Technik der Stoppfunktion selbst wählen; wahlweise mit Nocken- oder Schaltradsteuerung.
Tradition versus High-Tech
Neben traditioneller Uhrwerkstechnik begegnet uns von Jahr zu Jahr mehr High-Tech auf der EPHJ. Das ist bei Werkstoffen so, aber auch bei Verarbeitungs- und Herstellprozessen der Fall. Dort wo vor Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten die Handwerkskunst noch das Sagen hatte, finden heute immer mehr Verfahren und Prozesse aus artfremden Bereichen ihren Zugang in den Uhrwerksbau.
Das bekommt auch der Nachwuchs, der die Messe besucht, auf Schritt und Tritt zu spüren.
Hier wird High-Tech Robotic bestaunt.
Dort die zukunftsträchtige 3-D Holografie, mit der sich nahezu alles naturgetreu und zum Anfassen nah simulieren und darstellen lässt.
Und dann im Szenenwechsel die jahrhunderte alte Tradition in Form des Guillochierens.
Auch die Tradition fasziniert den Nachwuchs; fast noch mehr als alles High-Tech!
So bleibt zu hoffen, dass die Tradition erhalten und auch in die Zukunft fortgeschrieben wird. High-Tech ist eine Sache, aber was heute modern und hipp ist, kann morgen schon wieder ein alter Hut sein. Das wäre für den Bau hochwertiger Uhren aber kontraproduktiv. Tradition hingegen bleibt Tradition, heute und auch morgen.
Fassen wir zusammen
2018 waren mit 820 Ausstellern geringfügig weniger auf die EPHJ gekommen als noch im Jahr zuvor. Die Stimmung war jedoch – das zeigten zahlreiche Gespräche – insgesamt deutlich entspannter als noch im Vorjahr. Dennoch wurde von einigen Gesprächspartnern moniert, dass die Schweizer Uhrenindustrie gut daran täte, sich über die eigene Positionierung und Ausrichtung für die Zukunft konkretere Gedanken zu machen.
Die Gespräche drehen sich in dieser dynamischen Zeit aber auch um den technologischen Wandel. Dort, wo gestern noch von Manufakturarbeit und höchster Uhrmacher- und Handwerkskunst die Rede war, treffen wir heute auf Verfahren und Werkstoffe, die der Halbleiterindustrie und Mikromechanik entliehen sind und nur mit Methoden der Hochautomation, Reinraum- und Nanotechnik beherrscht werden können. Mit traditioneller Uhrmacherei oder gar Handwerkskunst hat das nichts mehr zu tun.
Das muss nichts Schlechtes sein und so haben wir viele interessante und spannende Neuentwicklungen vorgestellt bekommen. Die Uhrenhersteller sollten sich ihren Kunden gegenüber dann aber bitte so offen und ehrlich zeigen und reinen Wein einschenken, damit der Kunde auch erfährt was er erwirbt: ein Stück High-Tech mit allen Vor- und Nachteilen, oder ein Stück Tradition, ebenfalls mit allen Vor- und Nachteilen.
Denn ob eine Hemmungsbaugruppe aus seit Jahrzehnten bekannten und bewährten Werkstoffen besteht oder – nicht zuletzt aus Kostengründen – nun Teile aus Kunststoff oder dem viel gepriesenen, aber durchaus nicht unproblematischen, weil extrem spröden Material Silizium, zu finden sind, ist in Sachen Nachhaltigkeit schon eine Diskussion wert.
Zumal wenn damit geworben wird, die mechanische Uhr wäre quasi unkaputtbar, über Generationen hinweg reparierbar und damit eine Investition für´s Leben. Aber die Verfügbarkeit von Ersatzteilen wirft immer wieder und immer weitere Fragen auf. Bereits heute erhalten viele freie Uhrmacher von den Herstellern keine Ersatzteile mehr, weil dieser angeblich irgendeine Zertifizierung nicht nachweisen kann oder das Uhrwerk schlichtweg zu komplex sei als dass es außerhalb der herstellereigenen Servicezentren gewartet oder repariert werden könnte. Ist das wirklich die Zukunft der mechanischen Uhr? Hat der Kunde das so bestellt oder möchte er das so? Und hat ihn dazu schon einmal jemand befragt?
Dass Hersteller von hochwertigen Uhrwerken und Uhrwerksmodulen, wie Dubois-Dépraz, Eterna Movement oder La Joux Perret, auf der EPHJ die ganze Bandbreite ihrer Möglichkeiten zeigen, lässt Hoffnung aufkommen, dass die Verknappungsstrategie der Swatch Group ihren Höhepunkt überschritten haben dürfte. Jene Uhrenhersteller, die den Tanz auf der betriebswirtschaftlichen Rasierklinge um immer neue Manufakturkaliber nicht mitmachen möchten, haben mit Anbietern wie Sellita (auf der EPHJ leider nicht vertreten), Eterna Movement, La Joux Perret oder Soprod mittlerweile ausreichend viele Alternativen.
Auch das Thema der smarten Uhren hat sich als fester Bestandteil in der Welt der Uhren etabliert. Insbesondere Soprod zeigt, dass man mit innovativen Lösungen im Quarzbereich sehr wohl ganz vorne mit dabei sein kann und dieses Feld nicht zwangsläufig nur asiatischen Anbietern überlassen muss. Und wie am Beispiel Chronode zu sehen ist, beginnen selbst Entwicklungsbüros für High-End Uhren damit, sich mit neuartigen hybriden Lösungen zu beschäftigen.
Und genau das bringt die Branche wieder nach vorne. Innovationen sind gefragt, auch im Dialog mit dem Kunden und im Ausbau und der in der Pflege neuartiger Kommunikations- und Absatzkanäle.
Und eines zeigte die EPHJ 2018 ebenfalls überdeutlich: Eine gut gemachte Messe ist und bleibt alternativlos. Insofern freuen wir uns schon auf 2019.
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